Kurzgeschichte
Literatur
Lunge
Spaß
Arne und Fred: Es geht um Lunge
8:03:00 PM
Heute einmal (fast)ganz ohne visuelle Eindrücke und ganz der (Amateur-) Literatur gewidmet. Ich bekam diese Kurzgeschichte vor langer Zeit schon zugeschoben. Der Autor wollte sich nicht zu erkennen geben und nannte sich einfach die Aqualunge. So verwundert es kaum, dass der Titel so geworden ist. Sicher steckt hinter "Lunge" sein Alter Ego, oder die Sehnsucht danach, so zu sein, wie einer der Protagonisten in dieser wunderbaren Episode. Ich habe Aqualunge´s E-Mailadresse wieder ausgegraben und er versprach, mir mehr Lesestoff zukommen zu lassen. Also habt Spaß an dieser subtilen und doch irgendwo tiefsinnigen Geschichte und schreibt mir ein dickes "Ja, ich will mehr davon" und eure Meinung an info@dingoflamingo.com, um die literarische Amphibie zu weiteren liebevollen Missetaten anzustiften.
Fred und Arne: Lunge.
„Er wohnt schon hier seitdem ich
denken kann.“, bemerkt Fred nachdenklich, als ein verätztes Husten
um die Ecke biegt. „Alle nennen ihn nur die Lunge...immer ´ne
Kippe im Mund. Wenn er mal nicht raucht, ist er dabei, sich die
Nächste mit seinen groben, trockenen, nikotinvergilbten Fingern zu
drehen.“
„Daran gedacht aufzuhören, hat er
noch nie?“, frage ich fasst schon unbeholfen vor
Teilnahmslosigkeit. Fred fährt weiter fort, ohne meiner Frage auch
nur eine Silbe gewürdigt zu haben: „Weißt du, er ist
wahrscheinlich der geheimnisvollste Mensch hier in der Gegend. Keiner
weiß Genaueres über ihn. Alle sprechen immer nur von den Konzerten
auf denen sie ihn gesehen haben. Er bestellt sich auch selten ein
Bier, geschweige denn andere Getränke – da könnte das Rauchen zu
kurz kommen. Immer, in den Spielpausen, brüllt er sein merklich wohl
eingestimmtes, absurdes und zugleich brutales „MEETAAL“ in die
Menge. Wie ein Mantra, versteht du? In gebührenden Abständen, kurz
und prägnant. Es ist jedoch wie Perlen vor die Säue, da niemand
seine Kommunikationsversuche mit der Welt, außerhalb derer er
innewohnt, noch wahrnimmt. Anfangs findest du es einfach nur krank,
dann lachst du apathisch darüber und schließlich macht sich
Resignation breit und es fällt einfach nicht mehr weiter auf. Du
kannst ihm stundenlang zuschauen, weil er einfach so eine komische
Gestalt ist. Die langen, schmalzigen Haare, vom Rauch schon ganz
ausgeblichen, fahl. Der Schnauzer, der unter den Nasenlöchern schon
ganz gelb ist, und diese große verbeulte Nase. Mit jeder Minute,
dieses skurrilen Geschöpfes intensiven Inspizierens gewidmet,
bemerkst du immer wieder neue Details. Ihn scheint es nicht
sonderlich zu stören, dass er beobachtet wird. Ich weiß noch nicht
einmal, ob er denn überhaupt sich dessen bewusst ist, dass er beäugt
wird.
Es ist wie mit Lavalampen! Ja,
genau...wie mit Lavalampen.“, setzt Fred erneut an und steckt sich
eine filterlose Rothändle an. Bei dem Versuch flucht er ausgiebig
genug darüber, dass sein Feuerzeug mal wieder nicht anspringt und
hasst die ganze Welt.
„Du schaust dir dieses merklich
sinnentleerte Spektakel an; Du kommst nie auf einen Nenner, weißt
nicht warum du sie überhaupt anschaust, aber es gibt ständig ein
Merkmal, eine Nuance die sich verändert, die deine Aufmerksamkeit
erneut auf sich zieht.“ Wie als sei die genannte Theorie aller
Logik Urspung fährt er fort: „Gibt es neue Details an diesem
Menschen, gar Veränderungen? Nein, alles beim Alten. Denn er, er
verändert sich nie. Es geht das Gerücht um, dass er außer Rauchen
und auf Konzerten jede Live-Aufnahme versauen, gar nichts anderes
kann. Selbst meine Eltern haben ihn noch aus ihrer Jugend gekannt.
Mein Vater behauptet sogar, dass Lunge schon vor zwanzig Jahren so
aussah. Keiner weiß, wo er zur Schule ging, wo er arbeitet, oder gar
jemals gearbeitet hat. Niemand ist mit ihm verwandt, verschwägert,
befreundet! Es hat ihn auch nie jemand sprechen gehört. An der Bar
hebt er nur kurz den rechten Zeigefinger und er bekommt sein Bier,
wie als wäre es nie anders gewesen.
Ein einziges Mysterium dieser Mensch.
Wer sich nicht schon alles an Theorien herangewagt hat über das
Ausmaß seiner Lebensstruktur. Sogar Henry Kissinger, bekanntermaßen
seinerzeit auch länger in Fürth lebend, beschäftigte sich mit dem
Fall „Lunge“. Ja, okay. Ich versteh schon, du glaubst mir jetzt
nicht, aber dieser Mann ist wie ein zeitloses Phantom, kapiert? Ein
Wesen, welches, bar jeder Logik, durch Zeit und Raum schreitet, aber
doch an einem Fleck bleibt. Vielleicht ist er die Reinkarnation eines
Pharaos, der zu ewiger Verdamnis in Fürth bestraft wurde, weil er
sein Volk, Zeit seines Lebens schlecht geführt hatte. Ach Arne, du
weißt schon. Einfach eine geheimnisumwobene, regionale Institution
ist dieser Kerl. Und ich sage dir nur Eines: Der überlebt uns auch
noch und wir werden nicht in Erfahrung bringen, was es mit ihm auf
sich hat. Rein gar nichts werden wir wissen und dumm sterben. Wie wir
kamen, so gehen wir auch wieder.“
Geistesabwesend ertrage ich Freds
Redeschwall. Er driftet immer in extraterrestrische Welten ab und
bemerkt gar nicht, dass nur prophetischer, geistiger Sondermüll
seinem Sprechorgan entweicht. Gerade als er Runde 3 des dumpfen
Fantasiemonologs einläuten möchte, schlurft Lunge an uns vorbei,
nachdem er sich, akribisch wie er ist, eine halbe Ewigkeit eine
formschöne Zigarette zurechtzwirbelte. Er bleibt immer stehen zum
drehen. Sammelt sich, steckt das Resultat seiner Arbeit zwischen die
zusammengepressten Lippen und zündet es tief einatmend an. Lunge
betrachtet uns kurz im Vorbeigehen und ich presse, wie aus einem
Reflex dörflicher Höflichkeit, ein „Hallo“ hervor. Lunge
entblößt seine gelb schimmernden Zähne und formt zu meiner
Überraschung seinen Mund zu einem Ansatz eines Lächelns, entgegnet
mir ein freundliches „Hallo“ vorauf ein bestätigendes Kopfnicken
folgt und schreitet zielstrebig weiter.
Fred steht vollkommen fassungslos neben
mir, schaut für einen kurzen Augenblick Lunge hinterher, um sich
dann zu mir zu drehen. Seine großen Froschaugen sind fragend auf
mich gerichtet. „Du bist ein Arschloch, Fred!“, schmeiße ich
Fred trocken und emotionslos entgegen und stecke mir erstmal eine
filterlose Rothändle aus Freds Zigarettenpackung an.
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